Bericht 2016

Unser 2. Rundbrief

Liebe Spender, liebe Freunde und Nepal Interessierte,
nach den zwei schweren Erdbeben im April und Mai 2015 waren Karl-Heinz Wulff und ich spontan nach Nepal geflogen, um den Menschen zu helfen. Auch dank der großen Spendenbereitschaft war es uns möglich, vielfach die akute Not zu lindern und medizinische Soforthilfe zu leisten. Wir haben in unserem ersten Rundbrief darüber berichtet.
Nach einem Jahr sind wir im November und Dezember 2016 wieder nach Nepal und in dieselben Dörfer gereist, um neue Projekte zu starten und erneut ärztliche Hilfe zu leisten.
Dieses Mal hatten wir einen weiteren Arzt in unserem Team, Dr.Titus Bertolini, Unfallchirurg und Orthopäde aus Detmold, der zusätzlich 5000€ für chirurgische Instrumente und Operationen spendete.

Unsere Arbeitsweise ist, dass wir keine eigene Organisation wie andere Hilfsorganisationen brauchen, keine Logistik und externe Ressourcen nutzen. Wir arbeiten mit lokalen Netzwerken oder bilden solche; das heißt, wir suchen die Menschen in den Dörfern auf, fragen sie nach ihren wichtigsten Problemen, sprechen mit ihnen Lösungen durch, erstellen Pläne und Bedarfslisten und sorgen dann für die notwendige Finanzierung. Immer müssen die Dorfbewohner einen Eigenanteil in Form von Arbeitsleistung, Organisation, Kontrolle und spätere Wartung übernehmen. Auf diese Weise sind die Projekte nicht „unsere“, sondern ihre, auch das Geld wird von unserem Nepali Freund Bhusal verwaltet und gegen Nachweise ausgezahlt. Unser erstes Ziel war das Dorf Kalinchok im Osten im Bezirk Dolakha, eine Tagesreise im Jeep mit stundenlangem Rütteln über halsbrecherische Pisten und am Ende noch ein steiler Aufstieg zum Dorf.
Dort wohnen seit Jahrhunderten Menschen vom Stamm der Thami. Sie sprechen ihre eigene Sprache, haben eine eigene Kultur und gelten in Nepal als rückständig; deshalb werden sie auch wirtschaftlich und sozial immer mehr an den Rand gedrängt. Das Erdbeben hat fast alle ihre Häuser zerstört; sie leben in notdürftig zusammengebauten Wellblechhütten. Die Felder geben magere Erträge von Mais und Hirse und reichen nicht zur Selbstversorgung. Deshalb sind von den 600 Bewohnern immer mindestens 80 junge Männer für 2 Jahre in Katar oder Saudi-Arabien, um für lächerliche 300 US§ im Monat unter menschenunwürdigen Bedingungen Stadien und Luxusbauten zu errichten. Nachdem die Kosten für die Flüge und Arbeitsvermittler abgezogen sind, bleiben ihnen nach ihrer Rückkehr meist nur wenige 100$ übrig. Die Frauen bleiben mit den Kindern allein zurück, müssen die Felder bestellen und meist noch für die Großeltern sorgen. Globalisierung hautnah!
Durch das Erdbeben sind in Nepal sehr viele Quellen ausgetrocknet, selbst nicht zerstörte Wasser Systeme sind durch die seismischen Verschiebungen unbrauchbar geworden. Die Dorfbewohner legen Schläuche in Bäche und leiten so Wasser zu den Zapfstellen. Fast alle leiden immer wieder an bakteriellen Durchfällen und schwerwiegenden parasitären Krankheiten wie Hakenwurmbefall und Amöbenruhr. Neben der Behandlung dieser Krankheiten liegt unser Hauptaugenmerk in der Prävention dieser Erkrankungen; nämlich der Bereitstellung von sauberem Quellwasser für die Menschen. Wasserbau ist daher unser wichtigstes Anliegen.
Von einem Zeltmacher in Kathmandu hatten wir uns wieder 4 große Ambulanzzelte bauen lassen, die einfach aufzubauen sind und später auch zum Wohnen nützlich sind. Darin hielten wir unsere Sprechstunden ab und konnten auch darin schlafen. Die örtlichen Mitarbeiter des Healthposts waren eingeladen mit zu arbeiten und Listen von dringend benötigten Arzneien und Hilfsmitteln zu erstellen. In Kathmandu haben wir einen jungen Arzt kennengelernt, Maneesh Bhattarai. Er hat gerade sein Examen bestanden und sich spontan entschieden, uns auf unseren Einsätzen zu begleiten. Unser Team bestand so aus 3 Ärzten und zahlreichen Freiwilligen aus Kalinchok, die die notwendige Organisation, Assistenz und Dokumentation übernommen haben. Wir haben zusammen mit der Dorfverwaltung und der NGO (non Governement Organisation) CWIN aus Kathmandu geplant, die Wasserleitungen und Brunnen instand zu setzen. Der Healthpost soll besser ausgestattet werden und wir wollen vor allem die Besetzung einer Hebammenstelle mit einer Anschubfinanzierung von mindestens einem halben Jahr ermöglichen. Es gibt im Dorf 80 Schwangere, die ohne jede fachliche Betreuung sind! Auch in die formale Weiterbildung der ungelernten medizinischen Helfer, die im Dorf wohnen, wollen wir investieren. So haben sie eine dauerhafte Lebensperspektive vor Ort. In den 4 Tagen in Kalinchok haben wir mehr als 400 Patienten untersucht, vielen mit Medikamenten und kleinen chirurgischen Eingriffen helfen können und zahlreiche Patienten in das Distriktkrankenhaus in Dolakha oder bis in die Fachkliniken von Kathmandu überweisen können. Für die Betreuung und falls erforderlich auch für die Behandlungskosten kommt CWIN auf. Wir ersetzen dann nachträglich über Bhusal die entstandenen Kosten, da wohl niemand im Dorf eine Operation bezahlen kann.
Auf Wunsch der Bewohner von Begumpa, einem Dorf in Sichtweite direkt gegenüber auf der anderen Talseite, haben wir auch dort für 1 ½ Tage unser Ambulanz Zelt aufgestellt. Der Weg dorthin ging über eine ziemlich baufällige Hängebrücke und aus dem Tal heraus über zahlreiche Erdrutsche nach dem gerade beendeten Monsun.
Dr. Titus hat seine orthopädische Liege aus zwei Schultischen gebaut und erfolgreich viele Patienten mit Verspannungen und Schmerzen geheilt.
Auch hier sahen wir viele chronisch Kranke, die sich eine Behandlung im Krankenhaus nicht leisten konnten. Bhishnu, das ehemalige Straßenkind aus Kathmandu und wie letztes Jahr unser immer fröhlicher Begleiter und Verbindungsmann zu CWIN, hat bereits Rückmeldungen über erfolgreiche Behandlungen gegeben.

Ghamarchok

Bereits letztes Jahr waren wir einige Tage in diesem Gurung Dorf zu Gast, haben 1200 Wellblechdächer gekauft und Medizinische Hilfe geleistet. Wir haben seinerzeit einen Jungen aus dem Dorf eingeladen, um in Deutschland im Westfälischen Kinderdorf in Barntrup eine Ausbildung zum Koch zu machen. Kumar Gurung lebt nun seit Mai im Kinderdorf und hat sich wunderbar eingelebt. In Ghamarchok gehören wir daher praktisch zur Familie, wurden herzlichst empfangen und sogleich zur Hochzeit von Kumars Bruder eingeladen. Die Reise in das Dorf war wieder sehr mühsam: Im Geländefahrzeug 12 Stunden Fahrt, davon 7 Stunden für die letzten 50 km auf einer eher nicht existenten Piste. Teilweise mussten wir die Fahrspuren erst einmal herrichten. Wir waren die Ersten, die in diesem Jahr mit dem Auto Ghamarchok erreichten.
Der Healthpost im Dorf ist noch zerstört, die Schule ebenfalls wie die meisten Häuser. Aus Wellblech wurden notdürftig Ersatzbauten errichtet, die wohl so noch einige Jahre bestehen bleiben müssen. Wir haben daher unsere Sprechstunde ins Nachbardorf verlegt, wo noch einigermaßen intakte Gebäude stehen. Auch hier leiden fast alle Bewohner an Magen-Darm-Erkrankungen, da es kein sauberes Trinkwasser gibt. Wir haben die Erneuerung der Trinkwasserversorgung zu unserem wichtigsten Anliegen gemacht. Alle Einzelheiten wurden mit den Dorfältesten und Offiziellen erörtert und wir sind sicher, dass bis zum Frühjahr 2017 alles fertig sein wird.
Im Healthpost halfen wieder viele Freiwillige; der aus einem anderen Distrikt beorderte verantwortliche Healthassistant ist seit Monaten nicht mehr aufgetaucht, bekommt sein Gehalt aber trotzdem. Der unter ihm stehende Healthworker ist immerhin anwesend, betreibt auch reguläre Sprechstunden, allerdings nur gegen bares (obwohl in Nepal die staatliche ländliche Gesundheitsversorgung grundsätzlich subventioniert ist und nichts kosten darf). Auch in dieser nicht so bettelarmen Gesellschaft waren wieder viele junge Männer turnusmäßig am „Golf“. Wir hatten häufig Geschlechtskrankheiten zu behandeln, ich bin sicher, dass auch dieses Phänomen der Globalisierung anzulasten ist. Insgesamt behandelten wir auch hier mehr als 400 Patienten.
Das wichtigste Ereignis im Dorf war die Hochzeit des älteren Bruders von Kumar. Alle 600 Bewohner waren eingeladen, wurden verköstigt und habe mitgesungen und getanzt. Die Alten haben nach uraltem Gurungritual gefeiert, getrommelt und stundenlang die alten Tänze aufgeführt, wobei so mancher in Trance fiel. Die Jungen zogen eher den Bollywood Tanzstil vor und haben bis in die frühen Morgenstunden durchgefeiert. Wir waren Teil der Zeremonie und haben die Gelegenheit genutzt, dem Frauenklub und dem Jugendklub des Dorfes und vor allem einer sehr armen Familie mit Zwillingen und einem arbeitsunfähigen Ehemann, der bei einem Unfall den rechten Arm verloren hat, jeweils eine substantielle Spende zukommen zu lassen.

Thulo Parcel
Gegen Ende unserer Zeit war Karl-Heinz Wulff noch einmal unterwegs in das Dorf Thulo Parcel, Gemeinde Pallo Chap, District Kabrepalanchok. Wieder drei anstrengende Tage. In Thulo Parcel hatte das starke Erdbeben durch seine geologischen Verschiebungen die grossen Quellen versiegen lassen. Hier leben rund 700 Personen jetzt mit zu wenig oder nur schlechtem Trinkwasser. Die Dorfgemeinschaft hat uns um Hilfe gebeten. Mit viel Eigenleistung (örtliches Marerial, Arbeitseinsatz, etc) und unserem Beitrag (Planung, Aufsicht, Material) kann es gelingen. Eine Quelle hatten sie bereits gefunden. Jedoch hat sich der Eigentümer des Grundstückes, trotz vorheriger Zusage an die Dorfgemeinschaft, aber noch ohne Vertrag, entschlossen das Wasser einem anderen Ortsteil zur Verfügung zu stellen. Warum wohl….? Nun haben die Dörfler in einer abgelegenen Schlucht doch noch eine passable Quelle ausfindig gemacht. Abgelegen und schwer zugänglich. Die Wassermenge ist gut, eine Untersuchung auf Trinkwassereignung wird noch folgen. Die Verhandlung mit dem Eigentümer läuft und die Vertragsunterzeichnung soll in Kürze stattfinden. Unsererseits sieht alles gut aus. Wenn der Vertrag steht, kann das Projekt „Wasser für Thulo Parcel“ angegangen werden.

Zum Schluß: Unsere Hilfsaktion für Nepal ist keine institutionelle Angelegenheit; wir handeln spontan und dennoch strategisch. Wir nutzen die Menschen in Nepal als unser Netzwerk und fragen sie nach ihren Sorgen und Bedürfnissen. Wir sprechen ihre Sprache und haben daher einen direkten Zugang zu ihnen. Unsere Motive sind Liebe zum Land, eine 40-jährige ganz persönliche Verbundenheit mit vielen Menschen dort, und das Wichtigste: es macht uns ungemein Spaß!

Lemgo, im Dezember 2016
Karl-Ludwig Tracht, Karl-Heinz Wulff

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